Explosiver Glaube
Projektchor präsentiert Verdis „Requiem“
HERZOGENAURACH - Kirchenmusik kann nach großer Oper
klingen, wenn sie von einem Musiktheater-Spezialisten wie Giuseppe Verdi
geschrieben wurde. In Herzogenaurachs Stadtpfarrkirche St. Magdalena
führten der Projektchor Herzogenaurach und die „Vogtland-Philharmonie“
nun unter Leitung von Ronald Scheuer Verdis „Messa da Requiem“ auf -
eine überaus dramatische Einstimmung auf die „stille Zeit“.
Und ein Zeichen für eine erheblich liberaler gewordene Einstellung der
katholischen Kirche zu einem lang verpönten Opus. War Verdi doch zwar
durchaus religiös, aber zeitlebens eher antiklerikal eingestellt, was
auch an seiner aus Kirchensicht problematischen Beziehung zu der
Sängerin Giuseppina Strepponi zu tun hatte, mit der der Komponist lange
in „wilder Ehe“ zusammenlebte.
Das „Requiem“ Verdis passt zudem nicht in die übliche Liturgie, setzt
seine Schwerpunkte anders und bedient sich ungeniert des musikalischen
Vokabulars der Oper - mit wuchtigen Aufschwüngen und emotionalen Arien,
in denen Menschen zu Wort kommen und keine schablonenhaften Archetypen.
Genauso fasst Ronald Scheuer das Werk auch auf: Als lebenspralle
„Kirchenoper“ mit druckvollen Tutti, klaren Kontrasten zwischen
lyrischer Versenkung und extrovertierter Brillanz und vor allem mit
einem auffallend zügigen Grundduktus.
Scheuers Ensemble geht den so kantenscharfen wie mitreißenden
Interpretationsansatz mit, ohne überfordert zu wirken. Freilich würde
man sich beim Projektchor die Tenöre strahlender, die Bässe schwärzer
und profunder und die Frauenstimmen ein wenig seidiger wünschen - aber
das gängige Kirchenchor-Niveau wird dennoch deutlich überschritten, der
Anschluss zu den Profis gesucht.
Auch die aus den Orchestern der Städte Reichenbach und Greiz geformte
„Vogtland-Philharmonie“ agiert annähernd auf Augenhöhe mit den
Symphoniker-Kollegen aus Nürnberg oder Bamberg, verbindet Präzision mit
sattem, mattgoldenem Timbre - nicht die schlechteste Wahl für Verdis
energetische Klangsprache.
Ausdrucksstarke Solisten
Eine ausgesprochen glückliche Hand hatte Ronald Scheuer bei der Auswahl
seines Solistenquartetts: Petra Schmidt verfügt über einen sehr
strahlkräftigen, auch in der bei Verdi oft geforderten Höhe sicher
geführten Sopran, dessen helles Leuchten für den nötigen Schuss
Transzendenz sorgt.
Zum kongenialen Gegenpol wird Laura Baxter mit ihrem farbenreichen Mezzo,
der gleichsam das auf dem Boden der Tatsachen ruhende Ewigweibliche
repräsentiert.
Wenn der Tenor Reiner Geißdörfer das „Ingemisco“ intoniert, scheint er
wirklich in jeder Faser reuiger Sünder, der um Vergebung bittet - ein so
souveräner wie stimmstarker Opernprofi, dem die Darstellung menschlicher
Affekte, das Ringen um den Glauben ungemein plastisch und anrührend
gelingt.
Der Bass Markus Simon, in der Region momentan einer der
meistbeschäftigten Solisten, wird zum Fundament, auf dem sich alles
gründet. Mit voluminösem Keller-Organ steigt er in die Katakomben
tiefster Verzweiflung hinab und stimmt eine erschütternde Totenklage an,
aus der die Furcht vor dem alles umwälzenden Ereignis der Auferstehung
spricht.
Dieser „Dies irae“, der Tag des göttlichen Zorns, an dem kein Stein auf
dem anderen bleiben wird, dient Verdi als zentrales Motiv, das kurz vor
dem finalen „Libera me“ noch einmal wiederkehrt, um die Menschen an ihre
Machtlosigkeit gegenüber Gott zu erinnern. Ein explosiver Ausdruck des
Glaubens, der noch lange nach Ende des Konzertes mit dem Projektchor
nachhallt.
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